Frankreich 2013
Regie: Katell Quillévéré
Darsteller: Sara Forestier, Adèle Haenel, François Damiens, Paul Hamy
Lustig geht es auf der kleinen Schulbühne bei der Tanzaufführung zu. Man spürt die Freude und den Spaß der Kinder, sich zu schminken, in glitzernde Kostüme zu schlüpfen und herumzuhopsen. Auf dem Weg nach Hause sitzen die Schwestern Suzanne (Sara Forestier) und Maria (Adèle Haenel) im Führerhaus des väterlichen Trucks, immer ein fröhliches Lied auf den Lippen. Die im Hinterland der südfranzösischen Küste lebende Familie macht einen harmonischen, glücklichen Eindruck. Dabei fehlt ihr trotz aller Idylle etwas ganz entscheidendes: dem Vater (François Damiens) die Frau, den Kindern die Mutter. 28-jährig ist sie gestorben.
Die vermeintlich heile Kleine-Leute-Welt bekommt Risse, als Suzanne, 17 Jahre alt mittlerweile, eines Tages schwanger ist. Sie bekommt das Kind, wird unterstützt von ihrem Vater und der Schwester. Bis hierhin alles prima. Als Suzanne ein paar Jahre später beim Besuch auf einer Pferderennbahn dem nicht unsympathischen, jedoch etwas zwielichtigen Julien (Paul Hamy, aktuell auch an der Seite von Catherine Deneuve in „Madame empfiehlt sich“ vor der Kamera) begegnet, verliebt sie sich bis über beide Ohren, folgt ihm nach Marseille und gewissermaßen auch ins Verderben. Den Sohn lässt sie zurück, bricht den Kontakt zu ihrer Ursprungsfamilie ab, landet irgendwann im Gefängnis. Ihren Freund kann sie auch danach nicht vergessen.
Für einen französischen Film wird in diesem Drama eher wenig gesprochen. Im Vordergrund steht vielmehr, die Entwicklungen und Veränderungen eines Lebens, seiner Brüche und wie mit ihnen umgegangen wird, aufzuzeigen. Auch wenn Suzanne als Titelfigur im Mittelpunkt zu stehen scheint, so gilt dieser dezidierte Blick gleichermaßen auch den anderen Familienmitgliedern bis hin zu Suzannes Sohn als jungem Teenager. Vor allem am Vater und wie er im Laufe des Films altert, ein Bäuchlein bekommt, die Frisur sich verändert, lassen sich die mitunter mehrere Jahre fassenden Zeitsprünge, in denen das Leben trotz der Sorgen weiterging, gut ablesen. Der belgische Schauspieler François Damiens bekommt diesen Spagat zwischen Lebensfreude und Schicksalsergebenheit ganz großartig hin.
Dass Sara Forestier eine gute Besetzung für die Rolle der zerbrechlichen, in sich versinkenden und sich nach grenzenloser Liebe sehnenden Suzanne ist, das hat sie bereits in Jacques Doillons „Mes séances de luttes“ (2013, lief im Herbst wie auch „Suzanne“ auf den Französischen Filmtagen in Tübingen und Stuttgart) als Teil einer anderen zerstörerischen Beziehung gezeigt, in der die unbedingte Liebe sie auf eine emotionale Achterbahnfahrt schickte. Gut in Erinnerung ist Forestier aber auch noch als anarchisch-idealistische Politaktivistin, die in Michel Leclercs schräg-romantischer Lovestory „Der Name der Leute“ (2009) auf eine verführerische Art Rache am politischen System nahm.
Das Besondere an der Darstellung Suzannes ist, wie sie sich einlässt auf etwas, was sie letztlich nur tief in ihrem Innersten fühlt, sich leiten lässt vom Moment, die Konsequenzen erträgt, aber auch spürbar und sichtbar unter ihnen leidet. Katell Quillévéré folgt hier also weniger einer Handlung, sondern blendet sich im Laufe von 25 Jahren immer wieder ein in Lebensituationen ihrer Protagonistin, in denen diese mit ihren Schwachstellen konfrontiert ist, aber nicht unbedingt weiß, wie sie mit ihnen umgehen soll. Wenn zum Abschluss des Films Nina Simone mit souliger Stimme zu Leonard Cohens bekanntem Song „Suzannes“ ansetzt, blinzelt dann aber doch wieder ein wenig Fröhlichkeit hindurch. Ein schöner Schlusspunkt hinter einem bewegenden Film, der die Unbeschwertheit und Unschuld schon zu Beginn hinter sich gelassen hat.
Thomas Volkmann
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